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Cookie Einstellungen ÖffnenDie Vielfalt und der Geschmack von Brot gelten in Deutschland als einzigartig. War der Verkauf von Brot und Gebäck deshalb früher Bäckereien vorbehalten, findet sich heutzutage auch in Supermarktregalen eine Fülle an Backwaren. Die Massenproduktion erlaubt es, die Ware zu günstigen Preisen anzubieten und immer verfügbar zu halten – klassische Bäckereibetriebe können da nur schwer mithalten. „Stimmt nicht“, sagt Bäckermeister und Brotsommelier Tim Lessau, der mit seinem Bruder die Traditionsbäckerei Braaker Mühle in Braak im Kreis Stormarn mittlerweile in sechster Generation führt. „Wir glauben selbst nicht, dass der kleine Bäcker an der Ecke noch einzig als reiner Nahversorger funktioniert. Aber Deutschland ist das Land der Brotkultur und bei uns trifft Handwerk auf neue Ideen.“ Deshalb bietet Tim Lessau eine Bäckerei der Zukunft mit viel mehr als nur Gebäck.
Deutschland ist das Land der Brotkultur und bei uns trifft Handwerk auf neue Ideen.
Die 24 Fachgeschäfte der Braaker Mühle dienen Kund:innen ganztäglich als Anlaufstelle. Auf dem Außengelände eines der Fachgeschäfte findet man sogar eine Drive-in Station und Tesla-Ladestationen vor. Ein online Click & Collect Shop soll folgen. Eines der neuesten Projekte von Tim Lessau ist ein Schiffscontainer, umgebaut zu einem Foodtruck. Dieser soll ab Oktober 2021 auf Märkten in Braak und Umgebung zum Einsatz kommen. Damit Kund:innen auch hier täglich frisch gebackene Ware erhalten, wird der Foodtruck einen richtigen Backofen enthalten. Laut Bäckermeister Lessau einzigartig, denn frisch gebacken wird in Foodtrucks normalerweise nicht. Und das ist Tradition bei der Braaker Mühle: Täglich bereiten etwa 60 Bäcker:innen die Teigrohlinge in den Backstuben der Braaker Mühle frisch zu, gebacken wird jedoch erst in den Bäckereien selbst. Auf dem Hof der Familie Lessau entsteht momentan eine neue Ofenanlage, denn bald soll hier ein Hofcafé zum Verweilen einladen und seine Kundschaft ebenfalls mit frischen Backwaren verwöhnen. Unterstützt wird der Bau der Ofenanlage mittels KfW-Förderung vom Land Schleswig-Holstein.
Im Pandemiejahr 2020 war Familie Lessau allerdings erst einmal gezwungen, durch umfangreiches Marketing aus der Krise eine Chance zu entwickeln: „Die Kundschaft wurde immer weniger, also haben wir uns entschieden, Social Media für uns zu nutzen. Hier können wir zeigen, wie sehr wir Brot lieben, was das Besondere an der Produktion ist und was Menschen von uns darüber lernen können.“ Und da handgemachtes Brot einen hohen Stellenwert hat und immer mehr Menschen sogar selbst eigenes Brot backen wollen, kommt das Angebot gut an. Im Podcast „Brotale Bäcker“ unterhält sich Tim Lessau mit Bäcker-Kollege Christian Dick regelmäßig über Sauerteig, Dinkelkruste und die unterschiedlichen Brot-Essgewohnheiten von Süddeutschland bis in den hohen Norden. Auf Instagram präsentiert der Bäcker persönlich die neue Franzbrötchen-Edition der „Mühlenkluft“ – eine eigens entworfene Bekleidungskollektion, um die norddeutsche Backkunst zu ehren.
Die Braaker Mühle mahlt ihr Mehl für die Vollkornprodukte seit 1859 bis heute in der eigenen Mühle – dafür kommt mehrmals die Woche ein Müller vorbei. In den Backstuben hingegen bestimmt die Automatisierung die Teigzubereitung: Digitale Waagen geben vor, welche Zutaten und wie viel davon in den gewünschten Teig gehört. Erst wenn die hinzugefügte Menge genau mit der Zahl auf dem Display übereinstimmt, springt die Waage zur nächsten Zutat über. Momentan entsteht eine neue Anlage, die die Ingredienzen in Zukunft selbst in der benötigten Menge hinzufügt. Auch die Verarbeitung der rohen Teigzutaten erfolgt maschinell. Bäckermeister Lessau legt Wert darauf, dass sein Betrieb über moderne, unterstützende Technik verfügt. Um allerdings auch weiterhin qualitativ hochwertige Backwaren zu liefern, kommt eine rein maschinelle Herstellung für ihn nicht infrage: „Denn Backen ist Wissenschaft.”
Und dafür kann Tim Lessau begeistern. „Generell haben wir keine Probleme damit, junge Menschen in Schleswig-Holstein für unsere Ausbildungsplätze zu finden. Gerade der Beruf als Konditor:in steht wieder hoch im Kurs“, berichtet Tim Lessau. Das Unternehmen kooperiert für die Ausbildungsgänge mit dem Elbcampus in Hamburg, denn Lessau liegt die fachliche und persönliche Weiterentwicklung seiner Mitarbeiter:innen sehr am Herzen. Insgesamt beschäftigt Familie Lessau mittlerweile zwischen 350 und 400 Mitarbeiter:innen und gehört damit zu den größten Arbeitgebern vor Ort. „Wir stehen für Nachhaltigkeit im doppelten Sinne“, betont Tim Lessau gerne. „Wir wollen natürlich eine marktgerechte Rendite erwirtschaften, aber gleichzeitig all unseren Mitarbeiter:innen auch in Zukunft einen sicheren Arbeitsplatz bieten.“
Wir wollen natürlich eine marktgerechte Rendite erwirtschaften, aber gleichzeitig all unseren Mitarbeiter:innen auch in Zukunft einen sicheren Arbeitsplatz bieten.
Die Braaker Mühle geht nach eigenen Angaben dazu auch nachhaltig mit Ressourcen um. Jeder Lebensmittelbetrieb kennt es: Am Ende des Tages bleibt meist eine größere Warenmenge zurück. Beim Braaker Bäckereibetrieb landet jedoch keines der unverkauften Produkte in der Tonne. „Bei uns wird nichts weggeschmissen“, so Tim Lessau. „Übrig gebliebenes Gebäck verkaufen wir zum halben Preis, stellen daraus Semmelbrösel her oder es geht als Tierfutter an Landwirte aus der Umgebung. Tierische Produkte, wie Wurst, Butter oder Käse, werden zu Biogas verarbeitet.“ Zudem bereitet das Unternehmen in einem speziell entwickelten Röstverfahren Weißbrot vom Vortag auf und fügt es schließlich neuen Backwaren zu. Damit erhalten Brot & Co. ihren besonderen Geschmack. In den Fachgeschäften selbst sind recycelbare Becher im Einsatz, die Folien zur Trennung der Kuchenstücke sind aus Maisstärke und damit biologisch abbaubar. „Wir versuchen unsere Fachgeschäfte und Unternehmensprozesse so nachhaltig wie möglich zu gestalten“, sagt Tim Lessau. Das Dach eines Fachgeschäftes ist als Pilotprojekt bereits mit Photovoltaikpanelen ausgestattet – weitere sollen folgen. Tim Lessau investiert seine Zeit vorrangig dafür, das Unternehmen in die Zukunft zu führen: „...auch wenn ich es persönlich bedauere, als Geschäftsführer nur noch selten in der Backstube stehen zu können, denn ich liebe meinen Beruf.“
Bilder: © Sebastian Weimar (11); © Tim Lessau (1)