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Cookie Einstellungen ÖffnenSeit Landwirt Rainer Carstens seinen Hof in Dithmarschen 1989 auf biologischen Landbau umgestellt hat, steht er jedes Jahr vor derselben Herausforderung: Als Mitglied des Bioland-Verbandes sind chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel für die Entfernung von Unkraut keine Option. Da bleibt nur das Jäten per Hand. Denn ohne effektive Unkrautbeseitigung könnten sich seine Nutzpflanzen nicht optimal entwickeln. Doch das Jäten ist gerade bei engstehenden Kulturen wie Karotten oder Rote Beete äußerst arbeitsintensiv und fehleranfällig. Erst recht auf einer biologisch bewirtschafteten Gesamtbetriebsfläche von über 1.200 Hektar, auf die der Westhof in Friedrichsgabekoog unter Leitung von Carstens inzwischen angewachsen ist. „Ich habe mich gefragt, warum sich die Unkrautbeseitigung nicht im Prinzip genauso automatisieren lässt wie beispielsweise das Sortieren von Nüssen, für das optische Erkennungsmaschinen eingesetzt werden“, erinnert sich Carstens an die Initialzündung für das Start-up Naiture.
Gespräche mit Herstellern solcher Geräte verliefen jedoch im Sande. Erst der Kontakt zur Fachhochschule Westküste, im Osten der Stadt Heide nur wenige Kilometer von Carstens‘ Hof entfernt, brachte den Durchbruch. Hier arbeiteten damals die beiden Studenten Florian Knoll und Vitali Czymmek an unterschiedlichen Projekten zur Bildverarbeitung. Dank der finanziellen Förderung durch das Land Schleswig-Holstein im Rahmen des Exzellenz- und Strukturbudgets für die Stärkung der Forschung an Fachhochschulen, war es den beiden Studenten und dem Bio-Landwirt 2014 möglich, das Projekt „Hochgenaue Unkrauterkennung im Bioanbau“ zu entwickeln. Ende 2018 erfolgte der Startschuss zur Ausgründung in die Naiture GmbH & Co. KG und Anfang 2021 konnte mit intensiven Tests mit dem Roboter auf vier parallelen Spuren begonnen werden. Der letzte, noch anstehende Schritt: die Marktreife des Prototyps.
„Ich habe mich gefragt, warum sich die Unkrautbeseitigung nicht genauso automatisieren lässt wie das Sortieren von Nüssen“
Die von Knoll und Czymmek entwickelte Lösung basiert auf den drei Technologien Robotik, Künstliche Intelligenz und Big Data. „Informationen werden über digitale neuronale Netze verarbeitet, die der Struktur des menschlichen Gehirns nachempfunden sind“, erklärt Czymmek das Prinzip. „Der Algorithmus lernt, indem er millionenfach Bilder, zum Beispiel von Karotten, analysiert, die wir eingespeist haben.“ Auf diese Weise schafft es der KI-Roboter immer besser, Unkraut von Nutzpflanzen zu unterscheiden. „In manchen Fällen haben wir uns während der Erkennungsphase gewundert, weil das System angeblich Fehler machte. Aber es war klüger als wir. Erst als wir uns die Originalbilder noch einmal ansahen, merkten wir, dass wir einige Bilder falsch zugeordnet hatten.“
Die Genauigkeit der Künstlichen Intelligenz liegt inzwischen bei etwa 98 Prozent. Selbst unter wechselnden Wettereinflüssen bleibt die Erkennungs-Quote des Roboters konstant. „Diese Leistung ist wirklich erstaunlich“, freut sich Bio-Landwirt Carstens, „denn die Künstliche Intelligenz erkennt Karotten im Zweiblattstadium ebenso gut wie im Drei- und Vierblattstadium. Dabei sehen die Pflanzen in jeder Phase vollkommen unterschiedlich aus.“ Zurzeit ist der Jätroboter bei 75 cm Reihenabstand auf einen vierspurigen Betrieb ausgelegt, kann dank seiner modularen Bauweise aber auf größere Arbeitsbreiten erweitert werden. Er fertigt 30 Bilder pro Sekunde an, die er trotz der riesigen Datenmenge offline in Echtzeit auswertet – „und das auf einem Computer, der kleiner ist als eine Tafel Schokolade“, betont Carstens.
„In manchen Fällen haben wir uns gewundert, weil das System angeblich Fehler machte. Aber in Wirklichkeit war es klüger als wir.“
Der KI-Roboter hat Potenzial für den biologischen, aber auch konventionellen Landbau. Biologisch wirtschaftende Höfe können ihr Unkraut millimetergenau und zu 100 Prozent chemiefrei entfernen und die sehr aufwändige Handarbeit komplett an eine Maschine delegieren. Von der Möglichkeit, synthetische Pestizide zu reduzieren, profitiert aber auch der konventionelle Agrarsektor. Weil immer mehr Unkrautvernichtungsmittel verboten werden, bietet der Jätroboter von Naiture mit seinem minimalen Einfluss auf das Ökosystem eine zukunftssichere Alternative, die dank der lernfähigen KI für eine Vielzahl weiterer Anwendungen ausgelegt ist.
Welches Potenzial Künstliche Intelligenz für Landwirtschaft und Tierschutz hat, zeigt auch das neueste Projekt von Naiture. Weil Rehkitze sich häufig auf erntereifen Feldern verstecken, die von schweren Maschinen bearbeitet werden sollen, entwickelt Naiture in dem durch das Land Schleswig-Holstein geförderten Projekt „Autonomes Rehkitz Ortungssystem – AROS“ ein System zur Entdeckung der verborgenen Tiere. In diesem Fall lässt Naiture als Technikträger der KI Drohnen aufsteigen.
Update
Im September 2021 gewann das Forschungsprojekt beim „Digital Excellence in Agriculture in Europe and Central Asia“ Wettbewerb den 1. Platz in der Kategorie „Innovative landwirtschaftliche Systeme und nachhaltige Landwirtschaft“. Ziel dieses Wettbewerbs ist es, innovative Verfahren und Lösungen für die Landwirtschaft zu präsentieren, welche ebenfalls den digitalen Aspekt enthalten. Professor Dr. Stephan Hußmann, der bereits seit 2014 an den intelligenten Robotersystemen zur Unkrautbeseitigung forscht, und das Team rund um das Projekt, freuen sich sehr über den Sieg.
Bilder und Videos: © naiture GmbH