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Cookie Einstellungen ÖffnenMoritz von Grotthuss hat einen direkten Draht nach oben. In über 700 Kilometern Höhe kartieren die Copernicus-Satelliten der europäischen Raumfahrtbehörde ESA Land- und Wasseroberflächen weltweit. Die gestochen scharfen Bilddaten nutzt das 2019 gegründete Lübecker Start-up Bareways, um sie in den Algorithmus seiner KI-basierten Navigationssoftware einzubauen. „Die Bilder zeigen sogar die Beschaffenheit von Straßenoberflächen. In Kombination mit Daten zum Wetter oder zur Höhenlage sind derartige Fakten ein entscheidender Parameter, um im ländlichen Raum die Fahrtzeit zu verkürzen und gleichzeitig die Verkehrssicherheit zu erhöhen“, sagt Bareways-Gründer und Jurist Moritz von Grotthuss, der vor seiner Start-up-Karriere in einer Innovationsberatung tätig war.
Gemeinsam mit seinem Geschäftspartner, dem promovierten Informatiker Dr. Sascha Klement, und einem inzwischen 16-köpfigen Team aus Informatikerinnen und Informatikern arbeitet er an der aktuell weltweit einzigartigen KI- und Big-Data-basierten Navigationssoftware für ländliche Gegenden. Einen ersten Kunden gibt es bereits: Ein bekannter Automobilhersteller bietet die Bareways-Technologie für seine Fahrzeuge in einer eigenen App an. „Die Automobilbranche ist momentan unser wichtigster Markt, auch weil wir dort die größten Erfahrungen haben“, sagt von Grotthuss. Zuvor arbeiteten er und Klement bereits im Start-up gestigon zusammen. Dort entwickelten sie mithilfe von Deep Learning und KI eine Bildverarbeitungssoftware für die Gestenerkennung beim Autofahren. 2017 übernahm ein französischer Automobilzulieferer alle Anteile des Unternehmens.
Die Idee zu Bareways entstand bei Moritz von Grotthuss an einem eisigen Wintertag in Thüringen, quasi auf offener Straße. „Ich war mit Freunden in einem kleinen Geländewagen auf einer bergigen Route im Wald unterwegs. Der Asphalt war vereist, es schneite, wir kamen den steilen Waldweg einfach nicht hoch“, erzählt er. Im Nachhinein ärgerte sich von Grotthuss, denn: „Das Wetter der vergangenen Tage war bekannt, das Auto hat eine Kamera, mit der es Schneefall registrieren könnte. Die Steigung einer Straße ist kartografiert und unveränderlich. All diese Daten waren vorhanden, sie wurden nur nicht zusammengeführt, um uns im Voraus zu warnen“, sagt der 52-jährige Gründer.
An genau diesem Punkt setzt sein neues Unternehmen an. Während gängige Navigations- und Kartenanbieter hauptsächlich die Parameter Entfernung und Zeit einbeziehen, um die schnellste Route vorzuschlagen, geht das Lübecker Start-up wichtige Schritte weiter. In Echtzeit erhalten Fahrer:innen auf Basis öffentlich verfügbarer Daten etwa von Satelliten, Wetterdiensten oder Webcams individualisierte Routenvorschläge. „Wir sammeln so viele Daten wie möglich, führen sie zusammen und gewichten sie in unserem Algorithmus. So entstehen immer neue individuelle Empfehlungen, etwa für Familien, die auf einer Fahrt alle zwei Stunden Rastplätze mit Spielplatz, aber ohne Fast-Food-Kette anfahren möchten“, so von Grotthuss.
Wir sammeln so viele Daten wie möglich, führen sie zusammen und gewichten sie in unserem Algorithmus. So entstehen immer neue individuelle Empfehlungen.
Auch länderspezifische Fakten bezieht Bareways mit ein: „Im skandinavischen Raum gibt es eine Datenbank zu Elch-Sichtungen im Straßenverkehr. Diese Meldungen nehmen wir ebenfalls auf, um das Unfallrisiko auf den entsprechenden Routen möglichst gering zu halten.“ Das Thema Verkehrssicherheit ist für Bareways besonders wichtig. Mit einem ihrer Kunden arbeiten die Lübecker an einem globalen „Road Safety Atlas“, der in Echtzeit über potenzielle Gefahren wie Überschwemmungen oder Erdrutsche informiert. Zahlen auf einer Skala von eins bis zehn könnten künftig Auskunft über die aktuelle Sicherheitslage auf jeder Straße der Welt geben.
Solche Risikobewertungen und Frühwarnmechanismen sind auch in Hinblick auf den Klimawandel relevant. Als 2021 die Flutkatastrophe über das Ahrtal hereinbrach, meldete die Bareways-Software schon früh eine Hochwasserwarnung für den gesamten Landkreis und empfahl eine Route, die komplett um diese Gegend herumführte. „Einige Folgen des Klimawandels sind nicht mehr aufzuhalten“, sagt von Grotthuss. „Jetzt geht es darum, möglichst gut damit umzugehen und eine entsprechende Resilienz zu entwickeln. Dazu kann Bareways viel beitragen, nicht nur im Bereich Mobilität.“ Aktuell konzentrieren sich die Lübecker zwar auf die Automobilwirtschaft, grundsätzlich sind jedoch auch Anwendungsmöglichkeiten in den Segmenten Logistik oder Agrarwirtschaft denkbar.
Dass von Grotthuss und Klement auch ihr zweites Start-up in Lübeck gegründet haben, ist kein Zufall. „Lübeck hat sich als KI-Standort innerhalb Deutschlands etabliert, etwa mit dem Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz der Universität zu Lübeck. Zudem ist die Stadt für IT-Fachkräfte attraktiv. Und nicht zuletzt: Die Unterstützungslandschaft für Start-ups ist einfach hervorragend“, so von Grotthuss. Neben dem Existenzgründerpreis der Lübecker Wirtschaft erhielt Bareways auch Fördermittel aus dem Landesprogramm Wirtschaft, das sich aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) und Landesmitteln speist.
Lübeck hat sich als KI-Standort innerhalb Deutschlands etabliert, etwa mit dem Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz der Universität zu Lübeck. Zudem ist die Stadt für IT-Fachkräfte attraktiv. Und nicht zuletzt: Die Unterstützungslandschaft für Start-ups ist einfach hervorragend.
Erst kürzlich erhielt Bareways eine weitere Förderung des Landes Schleswig-Holstein, diesmal in Höhe von 166.000 Euro. Im Fokus steht dabei die Entwicklung des KI-optimierten Navigationssystems „Adebar“ für E-Mobilität im ländlichen Raum. Von Grotthuss sagt: „Eines der größten Probleme der E-Mobilität ist zurzeit noch die Reichweitenangst, vor allem auf dem Land, wo es nicht an jeder Ecke eine Ladesäule gibt. Unsere Software berücksichtigt Aspekte wie Gefälle oder Straßenbelag, die sich auf den Verbrauch auswirken, und schlägt auf dieser Basis die energieeffizienteste Route vor.“ Mehr E-Mobilität im ländlichen Raum zu ermöglichen, ist eine der Visionen, die die beiden Gründer antreibt.
Und langfristig? … könnte die Software aus Lübeck laut von Grotthuss auch das autonome Fahren voranbringen. Denn damit selbstfahrende Autos die richtigen Entscheidungen treffen können, benötigen sie eine besonders präzise Kartografierung von Straßen. Schon jetzt führt Bareways zu diesem Thema erste Gespräche mit Automobilherstellern. „Software ist nie fertig“, sagt von Grotthuss. „Wir haben die Zukunft fest im Blick.“