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Cookie Einstellungen ÖffnenEinfach mal eine halbe Stunde frei sein, die Sorgen und Nöte des Alltags am Boden lassen. Wenn Dirk Ketelsen in sein Ultraleichtflugzeug steigt und abhebt, beginnt für ihn jedes Mal ein Kurzurlaub über den Wolken. „Ich fliege seit 40 Jahren. In der Luft fühle ich mich wie neugeboren“, sagt er. „Schaue ich dann auf die Erde hinunter, wird mir oft klar, welch unnötige Sorgen man sich da unten doch häufig macht.“
Ketelsen liebt das Fliegen – und den Bau von Ultraleicht- und Sportflugzeugen. Der 70-Jährige ist Geschäftsführer der Breezer Aircraft GmbH & Co. KG, einer Flugzeugmanufaktur mit Sitz in der schleswig-holsteinischen Gemeinde Reußenköge. Die Betriebsstätte – Ketelsen nennt sie auch „Traumfabrik“ – befindet sich samt Flugplatz im benachbarten Bredstedt. Dort konstruieren Mechaniker:innen und Ingenieur:innen Ultraleicht- und Sportflugzeuge für die Hobbyfliegerei. Und sie leisten Pionierarbeit für emissionsfreies Fliegen mit Wasserstoff und Elektromotoren. Insgesamt beschäftigt die Breezer Aircraft GmbH & Co. KG rund 45 Mitarbeiter:innen. Der angrenzende Flugplatz, den das Unternehmen zusammen mit dem Luftsportverein Nordfriesland betreibt, eignet sich bestens für Testflüge – oder um Käufer:innen fit für den Flug mit Sportmaschinen zu machen.
Elektro-Flieger gibt es bereits, aber noch keine, die komplett emissionsfrei betrieben werden. Hier leisten wir derzeit echte Pionierarbeit.
Der Startschuss für die Erfolgsgeschichte von Breezer Aircraft fiel vor etwa 15 Jahren – in einer Scheune im beschaulichen Bordelum in Nordfriesland, nicht weit vom heutigen Unternehmenssitz entfernt. „Ich lernte damals Ralf Magnussen kennen, den Sohn eines Piloten. Er studierte Luftfahrt und stellte in einer Scheune einzelne Bauteile für Ultraleichtflugzeuge her, die er auch verkaufte“, erzählt Ketelsen. „Da ich ihn als Menschen sehr schätze und großes Interesse an der Fliegerei habe, bot ich ihm an, die Lizenz für die Produktionsbausätze zu erwerben. So konnte ich sicherstellen, dass die Produktion in Schleswig-Holstein bleibt und nicht aus Kostengründen irgendwann ins Ausland verlagert werden würde.“
Was als Schrauber-Werkstatt für Fliegerbausätze begann, ist inzwischen zu einer umfassenden Flugzeugmanufaktur gereift. Statt in einer Scheune arbeiten die Fachkräfte von Breezer Aircraft in einer kontinuierlich ausgebauten, modernen Halle. Die schleswig-holsteinische Landesregierung hat das Unternehmen bei seinem Aufstieg begleitet, den Bau der Halle und der Landebahn über das Landesprogramm Wirtschaft finanziell gefördert, welches sich aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) und Landesmitteln speist.
Auf der Start- und Landebahn in Bredstedt heben nun regelmäßig Ultraleicht- und Sportflugzeuge – auch Breezer genannt – ab. Das englische Wort für die Flugzeuge leitet sich von der „frischen Brise" ab, die häufig in Schleswig-Holstein weht. Insgesamt fünf verschiedene Modelle stellt das Unternehmen her: Breezer Sport, Breezer B400-6 und die Breezer B600er-Serie. Die Flugzeuge unterscheiden sich unter anderem durch ihre Flugeigenschaften, ihr Gewicht und die maximale Geschwindigkeit. So erreicht zum Beispiel das Modell Breezer Sport eine Geschwindigkeit von bis zu 270 Stundenkilometern. Die Reichweite beträgt 1.400 Kilometer, das Leergewicht 350 Kilogramm. Je nach Modell schwankt der Kaufpreis für eines dieser Modelle zwischen rund 160.000 und 250.000 Euro.
Ralf Magnussen, der damals noch Bausätze aus der Scheune heraus verkaufte, ist heute verantwortlicher Entwicklungsingenieur. Gemeinsam mit Dirk Ketelsen tüftelt er an immer neuen Innovationen. Konkret möchten sie mit ihrem Team den Prototyp eines Elektrofliegers bauen, die nötige Energie für den Antrieb des Motors beziehungsweise für die Turbine soll aus Wasserstoff gewonnen werden. Ziel ist es, die Energie mithilfe einer Hochleistungs-Brennstoffzelle in den E-Motor einzuspeisen. Im E-Breezer ist solch ein Motor bereits eingebaut. Das Unternehmen hofft, noch im Jahr 2022 fehlende Zulieferteile zu erhalten, um die Batterie verkabeln zu können. Wenn alles glatt läuft, sind bereits erste Testflüge im Frühjahr/Sommer 2023 geplant. Ketelsen: „Elektroflieger gibt es bereits, aber noch keine, die komplett emissionsfrei betrieben werden. Hier leisten wir derzeit echte Pionierarbeit.“ Um ihre Idee umzusetzen, haben sie sich Unterstützung von eCap geholt. Das Unternehmen hat sich unter anderem auf die Umrüstung von Verbrennermotoren zu emissionsfreien Elektroantrieben spezialisiert und steht Breezer Aircraft beratend zur Seite.
Wir leben und arbeiten dort, wo andere Urlaub machen. Die Natur und Ruhe sind für uns gute Argumente, um Fachkräfte anzuwerben.
Breezer Aircraft benötigt für das Projekt grünen, also umweltfreundlich erzeugten Wasserstoff. Den will das Unternehmen ebenfalls selbst herstellen – mithilfe der überschüssigen Energie des Windparks Dirkshof in Reußenköge, den Ketelsen als Inhaber und Geschäftsführer betreibt. Mit viel Wind, großer Fläche und einem eigenen Umspannwerk sei die Infrastruktur dafür bestens geeignet.
Was sich für die Hobbyfliegerei noch in der Entwicklungsphase befindet, ist am Boden bereits Realität. Ketelsen hat 35 Wasserstoff-Brennstoffzellen-Fahrzeuge erworben und vertreibt diese bereits – auch, um das Bewusstsein für Wasserstoff in der Region grundsätzlich zu erhöhen. „Wir haben für die Wasserstoff-Produktion von der Landesregierung bereits entsprechende Förderbescheide erhalten, im Einzelnen für eine Tankstelle, einen Elektrolyseur mit etwa 700 Kilowatt und eine skalierte Megawattanlage für industrielle Zwecke", sagt Ketelsen. Das sind wichtige Bestandteile, um Wasserstoff zu produzieren.
Inzwischen verfolgen andere Unternehmen die Pionierarbeit von Breezer Aircraft – auch jenseits der Landesgrenzen. „Aktuell ist unser Verfahren noch nicht lizenziert und in der Entwicklung. Aber es gibt bereits einige Interessenten. Das sind zum Beispiel Firmen aus der Schweiz und Flugschulen", sagt der Geschäftsführer.
Damit Breezer Aircraft seine ambitionierten Projekte weiter vorantreiben kann, braucht das Unternehmen unter anderem zusätzliche Fachkräfte. „Wir stehen in Sachen Recruiting in Konkurrenz zu anderen Luftfahrtstandorten. Vor allem Entwicklungsingenieur:innen fehlen, aber auch Elektroniker:innen, Spezialist:innen für den Einkauf sowie Mitarbeiter:innen für das Lager oder die GFK- und Blechverarbeitung. Ketelsen bleibt optimistisch, schließlich hat der Standort Schleswig-Holstein viel zu bieten. „Wir leben und arbeiten dort, wo andere Urlaub machen. Die Natur und Ruhe sind für uns gute Argumente, um Fachkräfte anzuwerben. Nicht zuletzt ist unser Unternehmen agiler als ein Konzern, sodass unseren Fachkräften viel mehr Gestaltungsspielraum bleibt. Das sind gute Gründe, weshalb immer mehr junge Leute bereit sind, für die Arbeit auf‘s Land zu ziehen."
In Zukunft möchte der Luftfahrtpionier die Zusammenarbeit mit der schleswig-holsteinischen Landesregierung weiter intensivieren. „Wir sind trotz einiger Förderungen noch Anfänger, was das Beantragen von Fördermitteln auf Bundes-, Landes- oder EU-Ebene betrifft. Langfristig möchten wir vor Ort weitere Arbeitsplätze schaffen und gemeinsam mit den zuständigen Ministerien schauen, wie wir unser Unternehmen weiter voranbringen können." Dazu sei weiterhin die Unterstützung der Landesregierung nötig. Seine konkrete Vorstellung: selbst Masteranden aus dualen Studiengängen ausbilden sowie mehr eigene Forschung und Entwicklung betreiben. Dazu benötige er allerdings auch entsprechende, qualifizierte Ausbildungsleiter, so Ketelsen.
Bis es so weit ist, verfolgt er weiter seine Vision vom emissionsfreien Fliegen – oder hebt zwischendurch einfach selbst ab, um den Kopf für neue Ideen freizukriegen.
Im Dezember 2020 haben sich die Wirtschaftsförderungsgesellschaften der fünf norddeutschen Bundesländer Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein zur grünen Wasserstoffinitiative HY-5 zusammengeschlossen. Ziel: international für Neuansiedlungen zu werben und Norddeutschland zur stärksten Region für grünen Wasserstoff in Europa zu etablieren. Um die Ansiedlung zu erleichtern, stellt HY-5 u. a. Berater:innen bereit, die interessierten Unternehmen unterstützend zur Seite stehen.
Bereits im November 2019 ist durch die norddeutschen Küstenländer die Norddeutsche Wasserstoffstrategie veröffentlicht worden. Im Rahmen der Strategie wurde vereinbart, bis zum Jahr 2035 eine grüne Wasserstoffwirtschaft aufzubauen, die eine nahezu vollständige Versorgung aller an grünem Wasserstoff interessierten Abnehmer:innen ermöglicht. Mehr unter norddeutschewasserstoffstrategie.de