"Wir freuen uns über wilde Biografien."

Bernd Buchholz im Gespräch mit Marianne Boskamp.

Marianne Boskamp, geschäftsführende Gesellschafterin des Pharmaunternehmens Pohl-Boskamp, erzählt in Folge #2 des Podcasts "Echte Chancen" die Geschichte hinter Mitteln, die jeder im Apothekerschrank hat, und erklärt, warum sie Mitarbeiter*innen mit außergewöhnlichen Lebensläufen schätzt.

 

 

 


 

 

Bernd Buchholz: Moin aus Kiel und herzlich willkommen zu einer weiteren Folge meines Podcasts „Echte Chancen“. Mein Name ist Bernd Buchholz, ich bin der Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein, und in meinem Podcast diskutiere ich mit Menschen aus dem echten Norden, die mit Herzblut die Zukunft anpacken und gestalten. Wir sprechen über Erfolge und Perspektiven in den Zukunftsbranchen in Schleswig-Holstein, über Chancen, aber auch über Herausforderungen und natürlich darüber, was Unternehmerinnen und Unternehmer und Macherinnen und Macher aus der Wirtschaft von der Politik erwarten. Heute ist eine Frau bei mir zu Gast, in deren Familie das Unternehmertum Tradition hat. Marianne Boskamp leitet in vierter Generation das Unternehmen Pohl-Boskamp. Herzlich willkommen, Frau Boskamp.

Marianne Boskamp: Moin!

Sie leiten ein Unternehmen in der Nähe von Itzehoe. Wie heißt der traumhafte Ort, in dem Sie wohnen und arbeiten?

Ich wohne auf der Marsch, arbeite aber auf der Geest in Hohenlockstedt.

In Hohenlockstedt haben Sie ein Unternehmen welcher Branche?

Wir sind ein pharmazeutisches Unternehmen. Wir sagen, wir produzieren Medikamente, weil das alles nicht mehr so einfach ist mit Arzneimitteln. Wir haben Medizinprodukte, teilweise auch Nahrungsergänzungsmittel, aber hauptsächlich pharmazeutische Produkte.

Also Arzneimittel oder medizinische Produkte in Hohenlockstedt bei Itzehoe. Das erwartet man nicht in Hohenlockstedt. Sind Sie in vierter Generation dort?

Nein. Mein Vater ist aus Danzig gekommen, also eine klassische Flüchtlingsgeschichte. Hohenlockstedt war ein alter Truppenstandort, das heißt, es gab leer stehende Kasernen, und in denen hat mein Vater angefangen.

Und dann sind Sie dortgeblieben und haben dort die Firma aufgebaut?

Es ist lustigerweise eine gute Hälfte zwischen Kiel und Hamburg. Wir haben einen Produktionsstandort nahe der Autobahn in Dägeling direkt an der A 23. Bei jedem Büroneubau überlegen wir, gehen wir näher nach Hamburg, oder gehen wir näher an Kiel heran? Unsere Akademiker kommen wirklich sehr sauber getrennt, die eine Hälfte aus Kiel, die andere aus Hamburg, und sie fahren etwa gleich lang.

Es hat sich also bewährt, einen solchen Standort genau in der Mitte zu haben. Frau Boskamp, Sie müssen uns zunächst aber noch erzählen, was macht denn Pohl-Boskamp für Arzneimittel, was kennen wir davon?

Wir machen möglichst Sachen, bei denen man gleich merkt, dass man sie genommen hat. Das heißt, wir verkaufen nicht das ewige Leben, sondern es geht uns darum, dass wenn man ein Problem hat, mit unserem Produkt das Problem verschwinden soll. Unser größtes Produkt, das wahrscheinlich die meisten kennen, ist GeloMyrtol forte gegen Erkältung.

Die Produkte, die Sie produzieren, gehen nicht nur an die Bundesrepublik, sondern in die ganze Welt.

Ja, wir verkaufen mehr Packungen im Ausland als im Inland. China und Russland sind unsere großen Märkte. Insgesamt kommen wir komischerweise mit Osteuropa besser klar als mit Westeuropa. Also in Westeuropa sind wir nicht so gut vernetzt, das hat sich so ergeben.

Das klingt sehr bodenständig, Frau Boskamp. So nach dem Motto, wir machen hier nichts für das ewige Leben, sondern wir machen Produkte, die man auch merken soll. Ist das eine Philosophie, die Ihr Vater oder Ihr Großvater schon hatte, oder ist das jetzt mit Ihnen da reingekommen?

Nein, wir haben lange darüber nachgedacht. Ursprünglich hat die Firma Weichgelatinekapseln produziert.

Weichgelatinekapseln, was macht man damit?

Wenn man sich zu Hause seine Arzneimittel im Schrank anguckt, dann gibt es Tabletten. Pillen gibt es relativ wenige – Pillen sind Pasten, die gedreht worden sind. Dann gibt es Hartgelatinesteckkapseln, also Produkte, die kann man aufziehen, und dann kommt so ein Pülverchen heraus. Und dann gibt es Flüssigkeiten, die portioniert werden. Dieses Portionieren von Flüssigkeiten in Gelatinehüllen ist das Know-how unserer Firma, seit 1835.

Sie kommen also nicht wirklich von dem Wirkstoff, der drin ist, sondern von der Gelatinekapsel, die den Wirkstoff beherbergt. Das ist das eigentliche Know-how, das Sie mitgebracht haben.

Genau. Das ist das Know-how, das mein Vater aus Danzig mitgebracht hat. In Heftchen, wo aufgeschrieben wird, wie man das alles macht.

Und wie kommt man dann zum Beispiel auf die Idee zu sagen, GeloMyrtol forte, da ist ein Wirkstoff drin, der ist gut bei Erkältung? Denn ich nehme das auch manchmal.

Sehr schön, das freut mich (lacht). Gerade die Produkte wie GeloMyrtol oder Nitrolingual waren Weichgelatinekapseln von 1924 und 1935. Bei meinem Vater, also bis Danzig, war es so, dass uns die Apotheker ihre Flüssigkeiten geschickt haben, ihre öligen Flüssigkeiten, und wir haben die verkapselt. Dann hat mein Vater nach dem Krieg wieder mit einzelnen Sachen angefangen, und daraus sind dann Marken geworden. Und wenn man jetzt eine Firma erbt und sagt, ich habe mit Nitrolingual etwas, was in jedem Rettungswagen und jedem Flugzeug ist, und dann habe ich so ein Produkt wie GeloMyrtol forte, das in jeder Hausapotheke geschluckt wird: Wie kriege ich die zusammen, was ist die gemeinsame Geschichte? Und wir haben festgestellt, die gemeinsame Geschichte ist: Spüren, dass es wirkt. Dann haben wir verschiedene Sachen ausprobiert, mal etwas einlizenziert. Und das, was uns die Ärzte und Apotheker draußen geglaubt haben, war ein Produkt wie Nyda gegen Läuse. Nyda ist eine giftfreie Möglichkeit, Läuse zu ersticken.

Heißt, dieses Nyda, genau wie die anderen, ist eine Eigenentwicklung des Hauses Pohl-Boskamp?

Ja. Wir haben eine Forschungsabteilung, und die entwickelt das.

Das ist ja eine Branche, die wegen der rechtlichen Regulatorien nicht ganz einfach ist.

Nicht ganz einfach ist etwas verharmlosend. Wir würden uns schon wünschen, dass man noch mehr forschen könnte. Wir haben Ideen, Patente, bei denen wir uns nicht überall die klinischen Studien leisten können.

Was heißt das, das müssen wir uns leisten können, diese Zulassung?

Studien sind teuer, das sind ja immer gleich mehrere Millionen, die dafür notwendig sind, dabei in die klinische Studie zu gehen. Das machen wir auch nicht. Wir konzipieren es bei uns im Haus, aber wir beauftragen nachher Forschungsinstitute außerhalb, die das durchführen.

Sie sind ja ein klassisches mittelständisches Unternehmen. Da muss man sich das nun so vorstellen, eine klinische Studie durchzuführen, mehrere Millionen, das würde Sie überfordern. Oder ist das Risiko einfach zu groß, weil man ja nicht weiß, ob das Produkt, das dabei herauskommt, wirklich wirksam ist?

Also wir sind uns relativ sicher, dass das, was dabei herauskommt, wirksam sein wird. Und wir haben jetzt zum Beispiel mit Nitroglycerin schon eine Phase 2A, also eine Proof-of-Concept-Studie. Wir können zeigen, dass wir bei dieser Krankheit mit Nitroglycerin wirken, aber wir würden jetzt die große Studie erst anfangen, wenn wir uns sicher wären, dass das Gesundheitssystem das später bezahlt. Was soll ich eine Studie machen, wenn ich ein Risiko habe oder nach momentanem Stand das einfach nicht refinanzierbar ist?

Klar, das ist nicht unternehmerisch. Man würde jetzt nicht wild investieren und die Insolvenz riskieren, wenn man keine Chance hat damit. Aber Sie haben ja nun schon viele Produkte auf den Markt gebracht, haben eine gewisse Kraft dafür, das ein oder andere zu machen. Trotzdem ist es so schwierig und kompliziert, auf den Markt zu kommen.

In dem Moment, wo wir in den großen Pharmamarkt der Erstattungsfähigkeit wollen, sodass wir von den Krankenkassen bezahlt werden, ist das für uns auch mit alten Molekülen kaum leistbar. Das Problem ist, dass die neuen Produkte, die in den Markt kommen, dann immer neue Moleküle sind, die ein Jahr Mondscheinpreise haben und auch danach einfach sehr teuer sind. In dem Bereich von Arzneimitteln gibt es nur noch ganz billig oder ganz teuer. Dieses Dazwischen fehlt. Ich sage immer, an sich müssten wir versuchen, Golfklasse zu sein. Das Mittelmaß an Produkten, diese Golfklasse an Arzneimitteln, die ist in Deutschland leider politisch ausgestorben.

Das ist eine der Herausforderungen für ein Pharmaunternehmen in Schleswig-Holstein. Es gibt eine ganz große Familie an Pharmaunternehmen in Schleswig-Holstein, richtig?

Wir hatten hier zeitweise eine sehr aktive Ansiedlungspolitik für Pharmaunternehmen mit einer sehr guten Arzneimittelüberwachung. Wir hatten Zeiten, wo wir wirklich in Deutschland die beste Arzneimittelüberwachung hatten, was ein Grund war, in Schleswig-Holstein sein Unternehmen anzusiedeln.

Das hat dazu geführt, dass wir in der Tat ein Hotspot sind für Pharmaunternehmen, Gesundheit, Wirtschaft und Medizintechnik. Alle versammelt in einem Cluster namens Lifesciences mit Hamburg gemeinsam. Sind Sie auch Mitglied in diesem Cluster?

Jo (lacht).

Das ist etwas in Schleswig-Holstein, was man nicht so weiß über den Norden. Hier oben ist gerade dieser Teil der Zukunftswirtschaft, der Rückenwind, der wird im Gesundheits- und im Pharmamarkt mit einem richtigen Hotspot für die Republik ausgestattet.

Ja, bei uns ist es auch wirklich Produktion, die Herstellung. Es ist nicht nur dieser Pharmacluster, sondern wir haben einen ganz tollen Maschinenbau hier, der zuliefert. Da gibt es ganz viel witzige Zusammenarbeit. Ich meine, wir brauchen Edelstahl, Lebensmittel braucht Edelstahl, und wir haben dann auch gute Kooperationen und einen guten Informationsaustausch zwischen den Firmen. Da gibt es keine Berührungsängste zwischen Klein und Groß. Wenn es darum geht, wie wir Arzneimittel produzieren, haben wir ein sehr gutes kollegiales Verhältnis.

Sie beschreiben das so, als ob man sagt, Mensch, guck mal, mit dem Maschinenbauteil, den wir eben auch haben, das ist ein gutes Pflaster in Schleswig-Holstein. Die Umfelder sind gut für solche Firmen. Das führt aber zu der Frage Personal. Das Personal dafür zu finden, für ein Pharmaunternehmen, das ein forschendes Unternehmen ist, ein Arzneimittelunternehmen, das für viele Mediziner …

… Mediziner relativ wenig, die gehen ungern in die Industrie. Wir haben mehr Biologen, Chemiker, Pharmazeuten haben wir sehr viele. Die Mediziner sind knapp in der Industrie.

Und die kriegen Sie dann am Markt? Die kommen so zu Ihnen, dass man sagt, ja Mensch, wir haben die richtigen, passenden Leute in Hohenlockstedt bei Itzehoe?

Wir rekrutieren sehr viel über junge Leute. Wenn wir uns unsere Geschäftsleitung heute angucken, sind da viele Leute dabei, die als Trainee oder als Berufsanfänger bei uns angefangen haben und ihr ganzes Leben bei uns geblieben sind. Wir haben über hundert verschiedene Berufe in der Firma. Das heißt, wir nehmen eigentlich jeden in unser Traineeprogramm herein, der fit, wach, aufgeweckt und neugierig auf die Welt ist.

Also man muss nicht Chemiker oder Biologe sein? Man kann auch BWL studiert haben oder man könnte auch sonst wach unterwegs sein, und bei Pohl-Boskamp wird dann geguckt, ist man ein guter jugendlicher Typ und kann man mit dem etwas anfangen?

Wir hatten mal einen ganz tollen Personalreferenten, der war Kunsthistoriker. Und der hat die tollsten Leute eingestellt, weil der so schräge Fragen gestellt hat. Wir freuen uns über wilde Biografien.

Und über junge Leute, die dann lange bleiben. Was macht es denn aus Ihrer Sicht aus, dass die Leute so gerne so lange bei Ihnen bleiben?

Es bleiben nicht alle gern und lange, und es ziehen vor allem nicht genug aufs Land. Ich bin ganz froh, dass wir jetzt endlich den HVV kriegen nach Kreis Steinburg. Haben wir lange drauf gewartet, aber es ist, glaube ich, einer der größten Meilensteine, um Leute auf das Land zu locken.

Aber das zeigt ja, bei Ihnen im Kreis Steinburg, wo man es nicht unbedingt vermutet, ich sage es noch mal, ist ein Unternehmen mit Weltgeltung, ein Hidden Champion, der in seinem Bereich und von den Produkten her weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist, der das Personal aus dem ganzen Land rekrutiert und das auch gut hinbekommt. Das ist schon eine ganz tolle Geschichte, Frau Boskamp. Am Schluss meines Podcasts stelle ich immer drei schnelle Fragen mit der Bitte um eine schnelle Antwort. Die besten Ideen habe ich …

… wenn es laut und wuselig ist. Ich brauche viele Menschen und Aktion um mich herum.                   

Mein liebster Ort in Schleswig-Holstein ist …

Ach, ich glaube, bei mir zu Hause an der Stör, das ist ein Fluss, der in die Elbe führt.

Und am meisten inspiriert hat mich …

Ich glaube, so für die letzten 20 Jahre wahrscheinlich die Diskussionen mit meinen Kindern, weil die einen anderen Blick auf die Welt haben.

Das ist doch in der Tat ein Punkt. Diskussionen mit Kindern bringen einen weiter, weil das einen völlig veränderten Blick auf die Dinge gibt, mit denen man sich ansonsten so umgibt. Bei mir war Marianne Boskamp, eine der Unternehmerinnen, die im Pharmabereich in Schleswig-Holstein, in der Medizintechnik und im Gesundheitsbereich unterwegs sind. Vielen Dank für Ihren Besuch heute, das hat sehr Spaß gemacht und war wahnsinnig interessant, Frau Boskamp, und ich freue mich auf den nächsten Besucher hier im Podcast „Echte Chancen“ im Norden, in Schleswig-Holstein. Vielen Dank fürs Zuhören.