"Wir müssen offen für exotische und außergewöhnliche Ideen sein."

Bernd Buchholz im Gespräch mit Anton Eisenhauer.

Anton Eisenhauer, Professor für Marine Umweltgeochemie am GEOMAR und Gründer von osteolabs, diskutiert mit Wirtschaftsminister Bernd Buchholz, wie er als Meeresforscher auf die Idee kam, ein Verfahren zur Osteoporose-Früherkennung zu entwickeln, welche Rolle eine Kieler Kneipe dabei spielte und ob er sich heute mehr als Forscher oder mehr als Unternehmer fühlt.

 

 

 


 

 

Bernd Buchholz: Moin aus Kiel, mein Name ist Bernd Buchholz, ich bin der Wirtschaftsminister des Landes Schleswig-Holstein, und ich begrüße Sie zu meiner Podcast-Serie „Echte Chancen“. Diese Podcast-Serie soll Ihnen Menschen näherbringen, die Schleswig-Holstein ganz anders repräsentieren, als man es so gewohnt ist. Man kennt dieses Land ja als touristisches Land und kennt viele Dinge zwischen den Meeren und den Deichen. Doch man kennt nicht unbedingt Menschen, die als Unternehmerinnen und Unternehmer oder als Forscherinnen und Forscher mit ihren Zukunftsideen das Land vorantreiben. Aber es gibt viele davon. Und heute sitzt ein ganz besonderer mir gegenüber, Professor Anton Eisenhauer, der am GEOMAR Professor ist und nicht nur forscht, sondern gleichzeitig auch Unternehmer ist. Herzlich willkommen, Herr Professor Eisenhauer.

Prof. Dr. Anton Eisenhauer: Vielen Dank, Herr Minister.

Sie sind Professor am GEOMAR. Was ist Ihr eigentliches Gebiet, in dem Sie tätig sind?

Ja, das Leben macht ja verschiedene Wendungen. Ich bin eigentlich Physiker. Ich habe Kernphysik in Heidelberg studiert und bin über viele Umwege, das berühmte akademische Nomadentum, über Amerika am Caltech, dem California Institute of Technology, nach Kiel gekommen. Und als Physiker bin ich heute Professor für marine Umweltgeologie und marine Geochemie.

Marine Geologie – was heißt das? Was muss ich mir darunter vorstellen?

Sie müssen sich vorstellen, dass die Welt eigentlich zu 70 Prozent aus Meer und Meeresboden besteht. Das ist die größte zusammenhängende Fläche, die wir auf der Erde haben. Von dieser Fläche kennen wir aber nur ein Prozent. Der Drang des Menschen sucht natürlich danach, diese Fläche zu erkunden, was jedoch schwierig ist. Man braucht sehr viele Geräte und fortgeschrittene Methoden, um das zu tun. Es gibt die Neugierde, die den Menschen treibt, aber es gibt auch ein wirtschaftliches Interesse, weil der Meeresboden zunehmend die Quelle für Rohstoffe für die Welt ist und natürlich auch für Schleswig-Holstein.

Sie haben also als Professor am GEOMAR mit Meereskunde genug zu tun?

Durchaus. Wir entwickeln Methoden, um Informationen aus dem Meeresboden zu gewinnen. Wenn zum Beispiel unser Kollege über das Klima der Vergangenheit spricht, dann steckt dahinter eine sehr fortgeschrittene Analytik. Das heißt, man muss die Informationen über das Klima der Vergangenheit aus den geologischen Archiven gewinnen. Diese Methoden entwickeln wir am GEOMAR. Aber viele dieser Methoden haben auch, auf Neudeutsch, eine Dual-Use. Das heißt, man kann sie eben nicht nur in der Marinegeologie verwenden, sondern es gibt auch andere Anwendungen, zum Beispiel in der Medizin.

Genau in diesem Bereich haben Sie eine GEOMAR-Methode der Meereskunde weiterentwickelt, weitergedacht und für die Medizin umgesetzt. Sie haben damit eine Firma gegründet. Wie kam es dazu?

Es ist natürlich so, dass viele gute Ideen in einer Kneipe, in einem guten Gespräch entstehen. So war das auch hier. Wir haben alles durchgedacht, und irgendwann kommt die Frage auf, sag mal, wie ist das eigentlich beim Menschen? Wie ist denn der Kalziumhaushalt beim Menschen? Und da fiel uns und meinen Mitarbeitern zunächst erst mal nichts ein. Wir haben dann den Gedanken, der in der Kieler Kneipe „Oblomow“ entstanden ist, fortgeführt und ganz einfache Versuche gemacht und geguckt.

Wie muss man sich das vorstellen? Was haben Sie genau untersucht?

Ich hole mal aus. Also die Ursprünge dieser Methode stammen von dem Wunsch, die Kalzifikation von Korallen zu quantifizieren. Das heißt, wir wissen, dass die Ozeane wärmer und saurer werden. Doch vor allem dieses Sauerwerden und diese Wärme setzen den Korallen zu. Und durch unsere Methode kann man das messen und feststellen, dass die Korallen weniger wachsen. Sie wachsen weniger schnell, sie akkumulieren weniger Kalziumkarbonat, Kalk.

Und das ist etwas, was beim Menschen, wenn man es nachweisen kann, eine bestimmte Krankheit ausmacht?

So ist es. Bei Menschen ist es nicht Kalziumkarbonat, es ist Kalziumphosphat. Kalzium-Hydroxylapatit, um genauer zu sein. Wenn der Kalziumkreiskauf des Menschen, ähnlich wie bei der Koralle, aus dem Gleichgewicht kommt, dann haben wir eine Krankheit, die ist bekannt als Knochenschwund oder Osteoporose.

So haben Sie mit der Methode eine Firma gegründet, um Osteoporose anders nachweisen zu können.

Genau, die Firma heißt osteolabs. Wir weisen die Krankheit nicht invasiv, das heißt ohne Nebenwirkungen für den Patienten direkt über den Urin oder das Blut, am besten beides, nach. Und zwar fast unmittelbar nachdem diese Krankheit eintritt. Bis heute ist das Standardverfahren eigentlich ein Röntgenverfahren, die sogenannte DXA-Methode, die aber große Nachteile hat. Zum einen ist sie strahlenbelastend, zum anderen ist sie auch nicht sehr sensitiv. Das heißt, meistens wird diese Methode erst dann angewandt, wenn ein Knochenbruch bereits erfolgt ist, sozusagen zum Abgleich, ob der Knochenbruch tatsächlich osteoporotisch bedingt ist oder aber durch einen einfachen Unfall entstanden ist.

Und Sie haben in der Kieler Kneipe die Idee gehabt, daraus jetzt eine medizinische Methode zu machen und diesen Nachweistest, den Sie da erfunden haben, auch tatsächlich als Produkt zu kreieren und zu verkaufen?

Damals in den ersten Tagen und Wochen natürlich nicht. Erst mal wollten wir gucken, was können wir tun. Der Gedanke ist aber mit der Zeit gewachsen, dass man in der Tat ein diagnostisches Werkzeug in der Hand hätte, um in der Medizin vielen Menschen, vor allem Frauen, viel Leid zu ersparen. Osteoporose ist die achthäufigste Krankheit. Deutschland gibt fünf Milliarden Euro pro Jahr nur für osteoporosebedingte Knochenbrüche aus. All das könnte man deutlich verbessern beziehungsweise die Grundkosten natürlich auch verringern.

Eine Firma gründen ist für jemanden, der aus der Forschung kommt und Professor ist, nichts Alltägliches. Gab es Hürden oder Schwierigkeiten für Sie?

Die Schwierigkeiten waren enorm. Es hat zehn Jahre gedauert. Ich muss sagen, zwischendrin hatte ich es auch aufgegeben. Wie geht man vor? Man macht einige Messungen. Ich habe meinen Sohn und meine Technikerin zunächst nach Probenmaterial gefragt. Und als wir gesehen haben, dass wir das wunderbar auseinanderhalten können, war der Weg eigentlich klar. Was macht ein Forscher? Er stellt einen Forschungsantrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Dieser Antrag wurde in Bausch und Bogen abgelehnt. Richtig katastrophale Gutachten. Auch der Hinweis, wie es denn möglich sei, dass ein Geologe ein medizinisches Verfahren entwickelt. Das würde nicht aus der Geologenkasse bezahlt werden, das müssten die Mediziner bezahlen. Wo dann sofort die Widerrede kam, dass die Mediziner natürlich keine Forschungsvorhaben der Geologen bezahlen.

Also ein internes Problem zwischen den Sparten der Wissenschaft hat es für Sie schwierig gemacht, diese Methode überhaupt anerkannt zu bekommen?

Genau. Das Stichwort ist Transdisziplinarität. Interdisziplinär ist gewünscht, aber transdisziplinär ist extrem schwierig. Das ist etwas kompliziert.

Was müsste passieren, damit es anderen Menschen nicht so geht wie Ihnen, dass diese Transdisziplinarität einfacher ermöglicht wird?

Die Geldgeber der Forschung müssten sich dessen bewusst sein. Wir müssten für exotische und außergewöhnliche Ideen offen sein. Es müsste ein Gremium geben, das vollkommen wertfrei auch zuerst verrückt erscheinende Ideen tatsächlich prüft. Und es müsste so etwas geben wie High-Risk-Research. Auf EU-Ebene gibt es das.

Sie haben dann aber tatsächlich die Ausgründung gewagt und vorgenommen, auch wenn es zehn Jahre gedauert hat. Sie haben eine Firma gegründet.

Ja, doch der Impetus kam von außen. Es war die Not. Es war die Not des GEOMAR. Die HGF hat an die Centers nach vielen Jahren Forschung die Frage gestellt, was ist denn eigentlich gesellschaftlich herausgekommen bei euch? Die HGF, das ist die Helmholtz-Gemeinschaft der deutschen Großforschungseinrichtungen, und das GEOMAR ist ein Teil der Helmholtz-Familie. Es ist das kleinste der Großforschungseinrichtungen.

Und da sollten Sie beweisen, was Sie an Forschung tatsächlich auch in andere Wertschöpfung umsetzen?

Genau. Das war tatsächlich eine harte Forderung. Alle 18 Großforschungszentren wurden evaluiert, eben auch das GEOMAR. Und da sah das GEOMAR relativ schlecht aus. Es gab nichts Angewandtes. Unser Direktor hat sich da erinnert, dass ich mal so eine Idee hatte. Ich wurde so quasi dieser Kommission präsentiert. Tatsächlich war es dann so, dass, glaube ich, keiner wirklich daran gedacht hat, dass daraus etwas werden würde. Aber der Kommissionsvorsitzende hat nach dem Vortrag sofort gesagt: Ja, das ist es. Warum setzen Sie das denn nicht um?

Und dann haben Sie angefangen, Ihre Idee umzusetzen.

So war es. Die HGF hat einen Fonds, den sogenannten Helmholtz-Validierungsfonds. Dieser Fonds ist sehr scharf, und wir mussten sehr viele Gutachten über uns ergehen lassen, acht Gutachten. Sehr strikt, aber eigentlich sehr konstruktiv mit vielen Hinweisen – wunderbar. Und am Ende wurde der Antrag, das Forschungsvorhaben, tatsächlich mit vielen Hinweisen genehmigt. Darunter waren auch ganz interessante marktwirtschaftliche Hinweise, da zur Kommission auch Wirtschaftler gehörten. Sie haben gesagt: „Vergessen Sie die Männer, konzentrieren Sie sich auf die Frauen, das ist der Markt.“ Und dann wurden wir großzügig gefördert.

War es eine Förderung, die Ihre Forschungsarbeiten noch weitertreiben sollte oder die Umsetzung in ein Produkt starten sollte?

Die Umsetzung. Die Forderung für das Forschungsvorhaben war, dass wir auf dem Level Proof of Principle waren. Das heißt, wir mussten demonstrieren, dass es theoretisch möglich ist. Aber wenn etwas möglich ist, dann ist da immer noch eine Lücke bis zur Anwendung, zur Marktreife. Heißt, das CE-Zeichen, klinische Studien, die ganzen Qualitätsmerkmale, das muss alles gezeigt werden. Das ist keine reine Forschung mehr, sondern angewandt. Und da gibt es eine Finanzierungslücke. Diese Lücke, die sehr teuer ist, die muss geschlossen werden. Genau das hat dieser Validierungsfonds gemacht.

Wo steht osteolabs als Firma heute, und wo produzieren Sie diese Tests?

Wir haben elf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, echten Umsatz und stehen als Firma erst mal sehr gut da. Wir werden die Coronakrise auch gut überleben. Wir hatten einen dramatischen Einbruch in den Umsätzen. Wir haben aber einen Großkunden, dessen Aufträge allein für eineinhalb Jahre für uns reichen. Wir kommen gut drüber hinweg und hoffen, dass wir mit dem vierten Quartal nächsten Jahres auf einem deutlichen Wachstumskurs sind. Produzieren tun wir hier in Kiel, auf dem Seefischmarkt mit eigenen Räume in der Wischhofstraße 1. Dort produzieren wir den Test und vermarkten ihn. Wir haben alle Patente, also werden wir jetzt auch europaweit vermarkten und hoffen, dass wir nächstes Jahr in die USA kommen.

Also eine erfolgreiche Ausgründung eines Forschers, der auf einem ganz anderen Gebiet, nämlich der Meereskunde, unterwegs war. Fühlen Sie sich, Herr Professor Eisenhauer, jetzt eigentlich mehr als Forscher oder mehr als Unternehmer?

Ich gestehe, dass mir beide Rollen gut gefallen. Und es ist auch noch nicht das Ende. Also wir haben die Idee, aus der Meeresforschung heraus noch andere Dual-Use-Projekte oder -Möglichkeiten in die Wirtschaft umzusetzen. Das finde ich sehr spannend, und dem widme ich mich gerade. Das hat jetzt auch nicht nur mit Forschung zu tun.

Voriges Jahr, als man noch gut reisen konnte, war ich im Silicon Valley, davor in Israel, also im Silicon Wadi. Was ich dort wahrgenommen habe, war auch, dass man diesen jungen forscherischen Aktivitäten sehr schnell Betriebswirte an die Seite gestellt hat, die als Erstes darüber nachgedacht haben: Wie mache ich jetzt daraus ein marktfähiges Produkt? Das passiert bei uns eher selten, oder?

Das ist sehr richtig. Und das ist ganz wichtig, da sagen Sie ein wahres Wort. Auch osteolabs hat davon profitiert, dass wir von Anfang an einen gestandenen Manager zur Seite hatten, eine Forderung des Validierungsfonds. In unserem Fall war es Herr Stefan Kloth, der frühere Vorstandsvorsitzende von Lenscare. Diese Rolle, die er eingenommen hat, war extrem wichtig.

Also wir haben noch viel zu tun, bis wir zur Start-up-Nation werden, aber Sie sind ein Beispiel davon, dass wir hier in Schleswig-Holstein gerade aktuell in unseren Gründerzahlen richtig gut nach oben gehen. Wir versuchen, ein Klima zu schaffen, das eben etwas anders ist. Wir versuchen, stärker zu fördern und genau das zu tun, was Sie gerade beschrieben haben: den Forschern jemanden an die Seite zu stellen, der im Zweifel die betriebswirtschaftliche Seite beleuchten kann, ein bisschen dafür sorgt, dass das am Anfang notwendige Finanzierungskapital etwas leichter fließt. Wir haben einen Seed- und Start-up-Fonds aufgelegt, um solche Gründerinnen und Gründer stärker zu unterstützen. Ich glaube, es geht ein bisschen voran.

Zum Schluss, Herr Professor Eisenhauer, ein paar Fragen im Schnelldurchgang, die zu diesem Format gehören. Drei schnelle Fragen, drei schnelle Antworten. Die besten Ideen habe ich …

… am Heikendorfer Strand und im kleinen Strandhaus in der Kneipe dort.

Mein liebster Ort in Schleswig-Holstein ist …

… in der Tat der Hafen in Heikendorf und mein Boot Elpis.

Am meisten inspiriert hat mich …

… meine Zeit am Caltech in den USA: die offene akademische Atmosphäre, die dort geherrscht hat, und das freie Fliegen von Gedanken.

Schaffen Sie eine solche Atmosphäre auch am GEOMAR?

Ja. Die Bedingungen sind aber anders.

Wieso sind sie anders, wie sind sie anders?

Es fängt schon an der deutschen Bauvorschrift an, die nicht erlaubt, Sozialräume in Forschungseinrichtungen zu haben. Wir haben keinen Sozialraum, wo man einen Kaffee oder am Abend auch mal ein Bier trinken kann.

Und Kreativität braucht den Austausch mit anderen. Man ist am seltensten kreativ, wenn man ganz allein bei sich ist. Herr Professor Eisenhauer, vielen Dank, dass Sie heute da waren. osteolabs als Firma funktioniert, ich wünsche viel Erfolg für die Zukunft und freue mich darüber, dass es Sie gibt in Schleswig-Holstein als eine Ausgründung des GEOMAR. Sie sind ein wunderbares Beispiel, dass Ausgründungen aus der Universität stattfinden und dass man übergreifend von einer Disziplin in die andere, von der Meeresbiologie in die Medizin, ganz wunderbar Erkenntnisse übertragen kann, die für die Menschheit und viele Menschen, die krank werden, eine große Hilfe sein können. Schön, dass Sie heute Abend dabei waren. Es hat mir Spaß gemacht.

Vielen Dank, dass ich dabei sein durfte.

Danke schön. Und das war die Folge hier in meiner Podcast-Serie mit Professor Anton Eisenhauer. Ich freue mich, wenn Sie das nächste Mal auch dabei sind.